Hohelied Idylle 2
Zweite Idylle: Brautwerbung (Dating)
Die zweite Idylle bietet Einblick in zwei Reflexionen, die sich im Kontext der Brautwerbung ereignen. Diese Ereignisse sind chronologisch vor den Geschehnissen der ersten Idylle angesiedelt, die sich auf das Hochzeitsfest und die Hochzeitsnacht konzentrierte. Somit dient diese Idylle als Erklärung und Hintergrund, wie es zu den feierlichen Momenten der Hochzeit kam. Sie beleuchtet die vorangehenden Schritte und Entwicklungen, die schliesslich zum Bund der Ehe führten.
4. Reflexion | 2,8-17 | Ein Besuch im Frühling
In ihrer Reflexion erinnert sich Sulamith an die Brautwerbung (Dating-Zeit), insbesondere an einen Frühlingsbesuch Salomos in ihrem Zuhause in Galiläa. Sie denkt auch daran, wie sie gemeinsam voreheliche Probleme lösten, um die Basis für eine gute Ehe zu schaffen.
8 Horch! Mein Geliebter! Siehe, da kommt er, springt über die Berge, hüpft über die Hügel.
9 Mein Geliebter gleicht einer Gazelle oder einem Jungen der Hirsche. Siehe, da steht er hinter unserer Mauer, schaut durch die Fenster, blickt durch die Gitter.
"Horch! Mein Geliebter!" Dieser Ruf kündigt Salomos Ankunft an und unterstreicht sein starkes Verlangen, die Geliebte nach einer langen Zeit der winterlichen Trennung wiederzusehen. Salomo wird dabei beschrieben, wie er voller Eifer und Geschwindigkeit, vergleichbar mit der einer Gazelle, zu Sulamiths Haus eilt.
Das Wort "Mauer" bezieht sich auf die Mauer des Hauses und nicht auf die äussere Grundstücksmauer, für die es im Hebräischen ein eigenes Wort gibt. Sulamith befindet sich im Haus, während Salomo, der über die Hügel gekommen ist, von aussen durch die Fenster der Hausmauer blickt, um seine Geliebte zu erblicken, und dabei von einem Fenster zum anderen wechselt.
10 Mein Geliebter hob an und sprach zu mir: Mach dich auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm!
Salomo kehrt nach einem langen Winter zurück aufs Land. Sulamith erblickt ihn, woraufhin er sie einlädt, gemeinsam den Frühling zu geniessen. Er ermutigt sie, ihre Lethargie zu überwinden und mit ihm nach draussen zu kommen. Obgleich Salomo in den Norden gereist ist, um seine Felder in Galiläa zu begutachten, möchte er vorerst seine Zeit mit ihr verbringen; geschäftliche Angelegenheiten können warten.
11 Denn siehe, der Winter ist vorbei, der Regen ist vorüber, er ist vergangen.
12 Die Blumen erscheinen im Land, die Zeit des Gesangs ist gekommen, und die Stimme der Turteltaube lässt sich hören in unserem Land.
13 Der Feigenbaum rötet seine Feigen, und die Weinstöcke sind in der Blüte, geben Duft. Mach dich auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm!
Salomo beschreibt die Zeichen des Frühlings: Der Regen ist vorüber, Blumen blühen, und der Gesang der Vögel erfüllt die Luft, einschliesslich des Rufes der Turteltaube. Dies alles signalisiert den Beginn des Frühlings. Zudem sind die Feigen reif, und die Weinreben blühen, was einen süssen Duft verströmt - ein untrügliches Zeichen, dass es Frühling ist.
Salomo ermutigt Sulamith in V 13b, den Winterschlaf hinter sich zu lassen und mit ihm den Frühling zu erkunden. Dies markiert einen Moment, in dem beide, Salomo und Sulamith, bereit sind, ihre Liebe zueinander zu leben und zu vertiefen, ungeachtet der Trennung durch den langen Winter, die ihre Gefühle füreinander nicht zu mindern vermochte.
14 Meine Taube im Geklüft der Felsen, im Versteck der Felswände, lass mich deine Gestalt sehen, lass mich deine Stimme hören; denn deine Stimme ist süß und deine Gestalt anmutig.
Er vergleicht Sulamith mit einer wilden Taube, die sich in den Schlupfwinkeln der Felsen verbirgt, ähnlich den Beschreibungen in Jer 48,28, einem Ort, der schwer zugänglich ist. Er fordert Sulamith auf, ihr Versteck zu verlassen und zu ihm zu kommen, um ihr Gesicht und ihre Gestalt zu sehen, die er wegen ihrer aussergewöhnlichen Schönheit bewundert. Im Hebräischen wird das Wort für "Gestalt" in Pluralform verwendet, was hier als Ausdruck der Vielfalt ihrer Schönheit gedeutet wird, die Salomo fasziniert und überwältigt. Zudem möchte er ihre Stimme hören, die er als "süss" empfindet.
15 Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge sind in der Blüte!
Sulamith reagiert auf Salomos Ruf und gemeinsam beginnen sie, den Frühling zu erkunden. Während ihres Spaziergangs (V 15-17) spricht Sulamith über den Schaden, den kleine Füchse in den Weinbergen verursachen, welche Löcher graben und damit die Fruchtbarkeit der Rebstöcke beeinträchtigen. Diese Füchse symbolisieren kleine Probleme, die die Liebe nachhaltig stören könnten (Vgl. Neh 3,35; Klgl 5,18; Hes 13,4). Sulamith betont die Notwendigkeit, diese "kleinen Füchse" zu fangen und zu beseitigen, um die Liebe und den Frieden in ihrer Beziehung zu bewahren, während ihre Liebe und die Weinberge in voller Blüte stehen.
16 Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der unter den Lilien weidet.
Die "kleinen Füchse" symbolisieren Probleme und Ablenkungen, die ihre Beziehung stören könnten. Nun wird deutlich, dass eines dieser Probleme die beruflichen Verpflichtungen Salomos sind. "Ich bin dein und du bist mein" unterstreicht die gegenseitige Zugehörigkeit und das tiefe Vertrauen in ihre Beziehung. Salomo, als Hirte mit umfangreichem Land und vielen Schafen, muss sich tagsüber um seine Geschäfte kümmern, was ihn von Sulamith trennt. Durch die Formulierung "Er weidet in den Lilien" wird seine Abwesenheit während des Tages erklärt, da er seiner Arbeit nachgeht. Sulamith erkennt an, dass, wenn sie ihm die Freiheit gibt, seinen Pflichten nachzukommen, dies langfristig ihrer Beziehung zugutekommt. Sie entscheidet sich bewusst gegen ein klammerndes Verhalten, um Salomo zu ermöglichen, sich voll und ganz auf seine Arbeit zu konzentrieren, in dem Wissen, dass er am Abend zu ihr zurückkehren und sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit haben wird. Durch diese Weitsicht und das gegenseitige Verständnis für Salomos berufliche Notwendigkeiten wird "einer der kleinen Füchse" gefangen.
17 Bis der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen, wende dich, sei, mein Geliebter, gleich einer Gazelle oder einem Jungen der Hirsche auf den zerklüfteten Bergen!
Sulamith schlägt Salomo vor, bei Einbruch der abendlichen Kühle zu ihr zurückzukehren, wenn "die Schatten fliehen", d.h. wenn die Sonne untergeht. Er soll geschwind zu ihr kommen, wie eine Gazelle über die "zerklüfteten Berge" springen. Er soll zuerst seine Arbeit beenden und sich dann am Abend beeilen, zu ihr zurückzukommen. Indem sie Salomo gehen lässt, bis seine Arbeit abgeschlossen ist, verhindert Sulamith, dass berufliche Sorgen ihre gemeinsame Zeit überschatten. Sie vereinbaren eine störungsfreie Zeit für sich, wodurch sie zwei der "kleinen Füchse" fangen, die ihre Beziehung stören könnten: einen durch das Aufschieben gemeinsamer Zeit bis zum Abend, einen weiteren durch die klare Trennung von Arbeit und Privatleben.
5. Reflexion | 3,1-5 | Träume von Trennung
Jetzt, wo Salomo sie tagsüber allein gelassen hat, kam der wiederkehrende Traum von Trennung erneut in ihr auf. Die lange Zeit der Trennung während der Wintermonate und das damit verbundene Verlangen hatten sich in ihre Träume eingeschlichen und waren zu Albträumen geworden.
1 Auf meinem Lager in den Nächten suchte ich ihn, den meine Seele liebt: Ich suchte ihn und fand ihn nicht.
Das hebräische Wort für "Nächte" wird im Plural verwendet, was darauf hinweist, dass der Traum über mehrere Nächte hinweg auftrat. Während sie schlief, wurde sie von einem schmerzhaften Verlangen überwältigt. Es kam ihr so vor, als wäre Salomo nur gekommen, um sie zu verlassen und sich von ihr zurückzuziehen, und sie war nicht in der Lage ihn wiederzufinden.
2 Ich will doch aufstehen und in der Stadt umhergehen, auf den Straßen und auf den Plätzen, will den suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht.
So rennt Sulamith durch die Strassen der Stadt, um im Dunkel der Nacht nach ihm zu suchen, doch sie konnte ihn nicht finden.
3 Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen: Habt ihr den gesehen, den meine Seele liebt?
Als die Wächter (Ordnungskräfte) sie finden, fragt sie jene nach seinem Aufenthaltsort.
4 Kaum war ich an ihnen vorüber, da fand ich ihn, den meine Seele liebt. Ich ergriff ihn und ließ ihn nicht los, bis ich ihn gebracht hatte in das Haus meiner Mutter und in das Gemach meiner Gebärerin.
Kaum hatte sie ihre Frage ausgesprochen, sah sie ihn auch schon. Daraufhin ergriff sie ihn – das Hebräische lässt darauf schliessen, dass sie ihn festhielt, bis sie ihn mit sanfter Bestimmtheit in das Haus ihrer Mutter brachte. Das Gemach ihrer Mutter mag für Sulamith etwas Besonderes gewesen sein, ein Ort der Vertrautheit. Und dass sie Salomo dorthin brachte, zeugt von der Tiefe ihrer Liebe zu ihm. So fand der Traum, der als Albtraum begonnen hatte, einen glücklichen Ausgang: Salomo wurde wiedergefunden und war wieder an ihrer Seite.
Sulamith schildert lediglich einen Traum, der nicht wirklich geschehen ist, aber durch ein reales Ereignis ausgelöst wurde – die Trennung von Salomo über den Winter. Doch jetzt, mit der Rückkehr des Frühlings und Salomos Rückkehr, hegt sie die Hoffnung, dass diese Träume ein Ende finden werden.
5 Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hirschen des Feldes, dass ihr weder weckt noch stört die Liebe, bis es ihr gefällt!
Obwohl die Worte des Refrains hier dieselben sind wie in 2,7, ist das Thema doch ein anderes. Hier steht diese Aussage im Zusammenhang mit der Brautwerbung (Dating-Zeit). In dieser Zeit soll die geschlechtliche Liebe nicht nur nicht gelebt, sondern auch nicht angeregt werden, denn es könnte zur Unzucht führen. In dieser Zeit soll eine dreifache Distanz eingehalten werden: Eine zeitliche, eine räumliche und eine körperliche.
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