Hohelied Idylle 4

Autor: Briggeler Reinhard (Basierend auf dem Kommentar "Das Hohelied" von Arnold G. Fruchtenbaum)
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Vierte Idylle: Sexuelle Probleme

8. Reflexion | 5,2-6,3 | Sulamiths Albtraum von zurückgewiesener Liebe

In der achten Reflexion erlebt Sulamith, ähnlich wie in der fünften, einen beunruhigenden Traum, der durch Probleme in der Ehe und mangelnde sexuelle Anpassung ausgelöst wird. Im Gegensatz zu den wiederholten Träumen der fünften Reflexion, die durch eine lange Trennung verursacht wurden, erscheint dieser Traum einmalig. Sulamith träumt, dass sie Salomos Annäherungen zurückweist, ihn verliert und wiedergewinnt. Obwohl es nur ein Traum ist, spiegelt er ein reales Problem in ihrer Beziehung wider.

2 Ich schlief, aber mein Herz wachte. Horch! Mein Geliebter! Er klopft: Mache mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine Vollkommene! Denn mein Haupt ist voll Tau, meine Locken voll Tropfen der Nacht.

Zu schlafen, während das Herz wach ist – das ist typisch für einen Traum. Sulamith träumt, dass ihr Geliebter um Einlass bei ihr bittet. Er hat einen langen Weg hinter sich, und er kommt in der Nacht. Das Wort für Geliebter ist dod und weist auf sexuelle Liebe hin, bzw. auf seine Absicht, sich Sulamith sexuell zu nahen. Schliesslich nennt er sie "meine Vollkommene". Sie ist die eine, auf die sich Salomos Liebe und Hingabe konzentriert.

3 Ich habe mein Kleid ausgezogen, wie sollte ich es wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie sollte ich sie wieder beschmutzen?

Sulamith ist bereits im Bett, nackt, da sie ihren Leibrock abgelegt hat. Ihre Füsse sind gewaschen, da die Menschen damals Sandalen trugen und die Füsse im Laufe des Tages schmutzig wurden. Auf Salomos Bitte zu öffnen, erwidert sie, sie sei bereits im Bett, habe die Füsse gewaschen und wolle nicht aufstehen, um sich erneut zu beschmutzen und anzukleiden, nicht einmal für Salomo. Dies geschieht zwar nur in einem Traum, spiegelt aber realistische Ausreden wider, um sexuelles Begehren des Partners abzulehnen.

4 Mein Geliebter streckte seine Hand durch die Öffnung, und mein Inneres wurde seinetwegen erregt.

Salomo, voller Vorfreude, zu seiner Frau zu gelangen, streckt seine Hand durch eine Öffnung in der Tür, um sie zu öffnen oder Sulamith zu bewegen, ihm doch noch die Türe zu öffnen.

5 Ich stand auf, um meinem Geliebten zu öffnen, und meine Hände troffen von Myrrhe und meine Finger von fließender Myrrhe am Griff des Riegels.

Schliesslich steht Sulamith doch auf, um die Türe zu öffnen. Als ihre Hände den Türriegel berührten, wurden sie von flüssiger Myrrhe feucht. Diese flüssige Myrre auf dem Türriegel zeugt von Salomos Versuch ins Haus zu gelangen. Er hatte sich parfümiert mit kostbarer Myrrhe, wie wenn er an einem Fest teilnehmen würde. Denn mit Sulamith wieder zusammen zu sein, war für Salomo in der Tat ein Fest!

6a Ich öffnete meinem Geliebten; aber mein Geliebter hatte sich umgewandt, war weitergegangen.

Bis sie aber die Tür öffnete, war Salomo schon weggegangen. Das hebräische Wort ist ein starkes und bedeutet sich zurückziehen, eine andere Richtung nehmen, sich abwenden. Das weist darauf hin, dass sich Salomo völlig von Sulamith abwandte, in totaler Enttäuschung darüber, dass sie ihm nicht geöffnet und Ausreden vorgeschoben hatte.

6b Ich war außer mir, während er redete. Ich suchte ihn und fand ihn nicht; ich rief ihn, und er antwortete mir nicht.

"Ich war ausser mir", d.h. Sulamith realisierte, dass sie auf Salomos liebevolle Worte nicht richtig reagierte, zog sich daher schnell an und suchte ihn überall, doch fand ihn nicht. Sie rief ihn, er aber antwortete nicht.

7 Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen: Sie schlugen mich, verwundeten mich; die Wächter der Mauern nahmen mir meinen Schleier weg.

Während ihres Umherirrens in der Stadt wird sie von den Wächtern irrtümlich für eine Prostituierte gehalten und grob behandelt. Um einer Verhaftung zu entgehen, lässt sie ihren Überwurf zurück und es gelingt ihr, ihnen zu entkommen. Ähnlich wie Joseph in Gen 39,12, nur, dass bei Sulamith lediglich der Mantel zurückbleibt.

8 Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, wenn ihr meinen Geliebten findet, was sollt ihr ihm berichten? Dass ich krank bin vor Liebe.

Sie versucht um die Hilfe der Töchter Jerusalems zu werben, damit sie ihr helfen Salomo zu finden. Wenn sie ihn tatsächlich finden, sollen sie ihm ausrichten, dass sie wegen ihm liebeskrank ist und auf seine Avancen eingehen wird.

9 Was ist dein Geliebter vor einem anderen Geliebten, du Schönste unter den Frauen? Was ist dein Geliebter vor einem anderen Geliebten, dass du uns so beschwörst?

Die Töchter Jerusalems antworten, indem sie fragen, was denn Sulamiths Ehemann so besonders macht, dass sie sich die Mühe machen sollten ihr bei ihrer Suche zu helfen. Was ist so besonders an Salomo, dass Sulamith sie so dringend anfleht, damit sie ihr helfen ihn zu finden?

10 Mein Geliebter ist weiß und rot, ausgezeichnet vor Zehntausenden.

Salomo war "weiss und rot", nach Klgl 4,7 ein Kennzeichen des Königtums. Er ist dadurch ausgezeichnet oder abgesondert unter Zehntausenden.

11 Sein Haupt ist gediegenes, feines Gold, seine Locken sind herabwallend, schwarz wie der Rabe;
12 seine Augen wie Tauben an Wasserbächen, badend in Milch, eingefasste Steine;
13 seine Wangen wie Beete von Würzkraut, Anhöhen von duftenden Pflanzen; seine Lippen Lilien, träufelnd von fließender Myrrhe;
14 seine Hände goldene Rollen, mit Chrysolithen besetzt; sein Leib ein Kunstwerk aus Elfenbein, bedeckt mit Saphiren;
15 seine Schenkel Säulen aus weißem Marmor, gegründet auf Untersätze aus feinem Gold; seine Gestalt wie der Libanon, auserlesen wie die Zedern;
16 sein Gaumen ist lauter Süßigkeit, und alles an ihm ist lieblich. Das ist mein Geliebter, und das mein Freund, ihr Töchter Jerusalems!

Als Nächstes beginnt Sulamith die speziellen Merkmale Salomos zu beschreiben: Salomos Kopf ist kostbar wie Gold. Salomos Haar ist wie eine Hügellandschaft von seinem Hals aufwärts. Salomos Augen sind feucht und in Milch gewaschen, das heisst seine Pupillen schwimmen im klaren Weiss seiner Augen. Seine Wangen ein Blumenbeet, bepflanzt mit süss duftenden Blumen. Und das, was aus seinen Lippen hervorgeht, ist kostbare flüssige Myrrhe. Seine Hände wie goldene Schriftrollen, während seine Fingernägel wie eingebetteter Chrysolith sind. Sein Leib ist wie ein Kunstwerk, das aus Elfenbein geformt wurde, mit eingearbeiteten Saphiren. Seine Beine wie Säulen aus Marmor, während seine Füsse wie Gold sind. Sein gesamtes Aussehen ist so majestätisch wie der Libanon, der sich über Galiläa erhebt, und so kostbar wie die erlesenen Zedern. Aus seinem Mund entspringt Süsses.

Sulamith schliesst ihre Beschreibung von Salomo mit dem Hinweis, dass "alles an ihm lieblich" ist. "Das ist mein Geliebter, und das mein Freund, ihr Töchter Jerusalems!" Sulamith unterlässt es, trotz der Eheprobleme zwischen ihnen, Salomo in der Öffentlichkeit zu kritisieren, stattdessen redet sie Gutes über ihn und baut ihn damit auf.

1 Wohin ist dein Geliebter gegangen, du Schönste unter den Frauen? Wohin hat dein Geliebter sich gewandt? Und wir wollen ihn mit dir suchen.

Erneut antworten die Töchter Jerusalems im ersten Vers des nächsten Kapitels, doch diesmal mit einem anderen Ton. Sulamiths Beschreibung von Salomo hat deren Interesse geweckt, und nun sind sie eifrig dabei ihr beim Suchen zu helfen. Das ist tatsächlich kein gewöhnlicher Ehemann! Sie wissen nun, warum Salomo für Sulamith vor allen anderen so besonders ist.

2 Mein Geliebter ist in seinen Garten hinabgegangen, zu den Würzkrautbeeten, um in den Gärten zu weiden und Lilien zu pflücken.

Doch als der Traum zu Ende geht, wird die Hilfe der Töchter Jerusalems nicht mehr gebraucht, denn Salomo taucht plötzlich wieder auf. Im Traum erscheint Salomo plötzlich wieder. "Mein Geliebter ist in seinen Garten hinabgegangen" bedeutet, dass Salomo zu ihr zurückgekommen ist, denn der Garten ist Sulamith selbst (4,12-15; 5,1). Das zeigt, dass Salomo plötzlich wieder aufgetaucht ist und sie wieder zusammen sind.

3 Ich bin meines Geliebten; und mein Geliebter ist mein, der unter den Lilien weidet.

Der Traum endet mit dem Wiedervereinigungsrefrain, wo erklärt wird, dass sie einander gehören.

9. Reflexion | 6,4-9 | Die Rückkehr Salomos

Der Traum ist zu Ende. Salomo lobt seine Frau und nimmt sie bedingungslos an, trotz der Probleme mit der sexuellen Harmonie. Salomo ist alleiniger Sprecher in dieser Reflexion.

4 Du bist schön, meine Freundin, wie Tirza, lieblich wie Jerusalem, furchtbar wie Kriegsscharen.

Salomo vergleicht Sulamith mit Tirza, einer schönen Oase und später erste Hauptstadt des Nordreiches (1Kö 14,17; 15,21.33; 16,8.23), sowie mit Jerusalem, aufgrund ihrer Schönheit und Anmut. Ihre Erscheinung ist so eindrucksvoll wie eine siegessichere Armee zu Beginn einer Schlacht.

5a Wende deine Augen von mir ab, denn sie überwältigen mich.

Salomo ist völlig überwältigt von der Schönheit Sulamiths. Das Wort "überwältigen" bedeutet, mit grosser Kraft zu beeindrucken oder Furcht einzuflössen, was die Wirkung ihrer Schönheit auf ihn beschreibt.

5b Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die an den Abhängen des Gilead lagern;
6 deine Zähne sind wie eine Herde Mutterschafe, die aus der Schwemme heraufkommen, die allesamt Zwillinge gebären, und keines unter ihnen ist unfruchtbar;
7 wie ein Schnittstück eines Granatapfels ist deine Schläfe hinter deinem Schleier.

Salomo wiederholt in den Versen 5b-7 dieselben Worte wie in der Hochzeitsnacht (4,1b–3b), trotz Sulamiths Zurückweisung in jener Nacht. Er zeigt damit, dass seine Liebe unabhängig von ihrem Verhalten ist; sie bleibt für ihn so schön wie eine Braut und seine Liebe hat sich nicht verändert. Sulamith wird somit nicht nach ihrem Verhalten beurteilt.

8 Sechzig Königinnen sind es und achtzig Nebenfrauen, und Jungfrauen ohne Zahl:

Salomo stellt einen Vergleich zwischen Sulamith und den Frauen seines Palastes an und sagt, dass es 60 Königinnen (rechtmässige Ehefrauen) und 80 Nebenfrauen (für sexuelles Vergnügen) gab. Diese Zahlen weisen darauf hin, dass das Hohelied früh in Salomos Regentschaft entstand, bevor er 700 Ehefrauen und 300 Nebenfrauen hatte (1Kö 11,3). Die erwähnten "Jungfrauen" waren potenzielle Nebenfrauen.

9 Eine ist meine Taube, meine Vollkommene; sie ist die Einzige ihrer Mutter, sie ist die Auserkorene ihrer Gebärerin. Töchter sahen sie und priesen sie glücklich, Königinnen und Nebenfrauen, und sie rühmten sie.

Sulamith überragte sie alle. Sulamith war einzigartig in den Augen ihrer Mutter, sodass sogar andere Verwandte sie priesen. Sie wurde auch von den anderen Königinnen und Nebenfrauen gelobt, obwohl sie ja deren Konkurrentin war. Sulamith wurde den rechtmässigen Frauen und den sexuell geschulten Nebenfrauen vorgezogen.



 

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© Bibeltext: Elberfelder Übersetzung (Edition CSV Hückeswagen), © Christliche Schriftenverbreitung, Hückeswagen, alle Rechte vorbehalten, www.csv-bibel.de

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