Micha Kapitel 7
B' Verderbtheit des Volkes | 7,1-6
Um diesen Abschnitt richtig zu verstehen, gilt es zu beachten, dass verschiedene heilsgeschichtliche Zeiten prophetisch beschrieben wurden. Einmal die Zeit Michas, dann aber auch die apostolische und nachapostolische Zeit und drittens die Trübsalszeit.
1 Wehe mir! Denn mir ergeht es wie bei der Obstlese, wie bei der Nachlese der Weinernte: Keine Traube zu essen! Keine Frühfeige, die meine Seele begehrt!
V 1 | Der Prophet begann diesen Abschnitt mit Klage und Trauer. Grund dafür war der geistliche Niedergang Judas. Er verglich sich mit den Obstpflückern und Traubenlesern Judas, die grosse Enttäuschung über ihre dürftige Ernte empfanden (Vgl. 6,15). Juda hätte weit mehr geistliche Frucht hervorbringen sollen, tat es aber nicht (Vgl. Jes 5,7; Mk 11,12-14.20-22; Joh 15,1-8; Gal 5,22-23).
Vermutlich hatte Micha zudem Gottes Gebot vor Augen, das folgendes besagt: "Und wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du den Rand deines Feldes nicht vollständig abernten und sollst keine Nachlese deiner Ernte halten; für den Armen und für den Fremden sollst du sie lassen. Ich bin der HERR, euer Gott." (Lev 23,22) Die Gier der Bauern liess keinen Überrest der Ernte für den Armen und für den Fremden zur "Nachlese" übrig. Dieses Gebot war zentral in der Geschichte von Ruth, einschliesslich der Güte von Boas, der ein gerechter und mitfühlender Grundbesitzer Judas war. Offensichtlich gab es in den Tagen Michas niemanden mehr wie Boas.
2 Der Gütige ist aus dem Land verschwunden, und da ist kein Rechtschaffener unter den Menschen; allesamt lauern sie auf Blut, sie jagen jeder seinen Bruder mit dem Netz.
V 2 | Dieser Vers beschreibt die Verderbtheit der Gesellschaft Judas. Der Prophet klagte darüber, dass die Rechtschaffenheit im Land vollständig verschwunden war. Es gab aus seiner Sicht keinen "Gütigen" (Gläubigen) oder "Rechtschaffenen" mehr, der in den Wegen Gottes wandeln wollte. Stattdessen dominierte eine befremdliche Atmosphäre von Gewalt und Betrug, in der jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war, selbst wenn das bedeutete, anderen Schaden zuzufügen – sogar den eigenen Brüdern. Das Bild des "Netzes" verdeutlicht die Hinterlist und gezielte Absicht, andere zu fangen oder zu übervorteilen. Wahrlich, Juda war weit abgedriftet von Gott und Seinem Wort.
3 Nach dem Bösen sind beide Hände gerichtet, um es gut auszuführen. Der Fürst fordert, und der Richter richtet gegen Entgelt, und der Große spricht die Gier seiner Seele aus, und sie flechten es ineinander.
V 3 | Dieser Vers ist eine Anklage gegen eine Gemeinschaft, in der Macht und Geld mehr zählen als Gottes Massstäbe. Die Verderbtheit des Volkes zog sich durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch.
Mit "Nach dem Bösen sind beide Hände gerichtet" beschrieb Micha, dass die Verderbtheit Judas kein Zufallsprodukt war, sondern gezielt geplant und umgesetzt wurde.
Die Führer des Volkes – "Der Fürst", "der Richter" und "der Grosse" (Eliten) missbrauchten ihre Machtpositionen. Der "Fürst" forderte Bestechung, der "Richter" urteilte nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach dem, was ihm bezahlt wurde, und der "Grosse" folgte nur seiner Habgier. Die Worte "sie flechten es ineinander" zeigte auf, wie diese Menschen ihre egoistischen Interessen geschickt miteinander verwoben, um gemeinsam ihre bösen Pläne zu verwirklichen. Statt für Recht und Gerechtigkeit einzutreten, hatten sie ein mafiaähnliches System aufgebaut, das Ungerechtigkeit förderte und den Schwachen unterdrückte.
4 Der Beste unter ihnen ist wie ein Dornstrauch, der Rechtschaffenste schlimmer als eine Dornenhecke. – Der Tag deiner Wächter, deine Heimsuchung, ist gekommen; dann wird ihre Verwirrung da sein.
V 4 | Micha gebrauchte weitere Bilder, um die Verderbtheit des Volkes zu beschreiben. Selbst die "Besten" unter ihnen waren wie Dornsträucher – sie brachten keine Frucht, sondern verursachten nur Schmerz und Verletzung. Sogar die "Rechtschaffenen" waren wie eine "Dornenhecke", die mehr Schaden als Nutzen brachten.
Im zweiten Teil des Verses kündigte er das Gericht Gottes an. Der "Tag deiner Wächter" bezieht sich auf die Warnungen der Propheten des HERRN, die unermüdlich das Volk zur Umkehr aufgerufen und den Tag des Gerichts angekündigt hatten. Als Konsequenz nahte sich nun eben dieser Tag des Gerichts. Die "Verwirrung" beschreibt die Angst und die Bestürzung, die die Menschen erleben werden, wenn Gottes Gericht eintreten wird.
5 Traut nicht dem Genossen, verlasst euch nicht auf den Vertrauten; verwahre die Pforten deines Mundes vor der, die in deinem Schoß liegt.
V 5 | Micha beschrieb den völligen Vertrauensverlust in der Gesellschaft Judas. Die Verderbtheit war so fortgeschritten, dass selbst engste Beziehungen – zwischen Freunden und sogar Ehepartnern – von Verrat und Misstrauen geprägt waren. Der Prophet beschrieb eine Gemeinschaft, in der man nicht einmal den Menschen trauen konnte, die einem am nächsten standen und mahnte zur Vorsicht im Umgang mit Worten, selbst gegenüber der eigenen Ehefrau.
6 Denn der Sohn verachtet den Vater, die Tochter lehnt sich auf gegen ihre Mutter, die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter; des Mannes Feinde sind seine Hausgenossen.
V 6 | Micha beschrieb die tiefe Zerbrochenheit familiärer Strukturen. Beziehungen, die eigentlich durch Liebe, Respekt und Fürsorge geprägt sein sollten, waren von Verachtung, Rebellion und Feindschaft geprägt.
Jesus griff diesen Vers auf, um die Apostel auf die familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen Seiner Verwerfung vorzubereiten (Vgl. Mt 10,21.34-36). Hätte jene jüdische Generation den HERRN Jesus angenommen, dann wäre das messianische Friedensreich eingeführt worden und Israel hätte wahren Frieden erfahren dürfen. Durch die Ablehnung aber, wurde der HERR Jesus zu einem Trennfaktor in Familie und Gesellschaft. Darum hat der Herr gelehrt: "Denkt nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Mt 10,34) Diese Aussage machte klar, dass jeder Mensch, der sich kompromisslos für den HERRN Jesus entscheiden wird, in irgendeiner Form selbst Ablehnung erfahren wird, dies als Konsequenz der Verwerfung des jüdischen Messias. Ausdrücklich erwähnte Jesus die Trennlinie innerhalb der Familie. Der HERR lehrte Seine Jünger, dass dieser Trennungsfaktor (der Heilsglaube an Jesus Christus) bis zu Seinem zweiten Kommen als Richter-König anhalten wird.
Im meinem pastoralen Dienst sind mir über die Jahre hinweg viele Menschen begegnet, die sich bei ihrer Bekehrung vor der Reaktion der Eltern, Geschwister, Verwandten, Arbeitskollegen, Nachbarn, usw., feige fürchteten. So endete ihr Weg mit dem HERRN, bevor er eigentlich anfing und das Schriftwort erfüllte sich in ihnen: "Wenn jemand zu mir kommt und hasst (weniger liebt) nicht seinen Vater und seine Mutter und seine Frau und seine Kinder und seine Brüder und Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein. 27 Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachkommt, kann nicht mein Jünger sein." (Lk 14,26-27)
A' Kommende Rettung für Sein Volk | 7,8-20
A'-1 Hoffnung im Gericht | 7,7-10
7 Ich aber will ausschauen nach dem HERRN, will harren auf den Gott meines Heils; mein Gott wird mich erhören.
V 7 | Im Gegensatz zu den meisten Juden seiner Zeit, entschied sich der Prophet, auf den HERRN zu schauen und IHN im Gebet zu suchen! Mit grossem Glauben proklamierte er: "Ich … will harren auf den Gott meines Heils; mein Gott wird mich erhören." Im Glauben hielt er daran fest, dass letztendlich der HERR Rettung bringen wird (Vgl. Jes 59,20). Sein Glaube gab ihm die Zuversicht, dass der HERR seine Gebete erhören wird. Möge derselbe Glauben auch in diesen unseren dunklen Tagen, durch den Heiligen Geist in uns allen gewirkt werden (Vgl. Phil 2,15-16).
8 Freue dich nicht über mich, meine Feindin! Denn bin ich gefallen, so stehe ich wieder auf; denn sitze ich in Finsternis, so ist der HERR mein Licht.
V 8 | Der Prophet wendete sich an seine Widersacher, die sich unverschämt über seine Not und sein Unglück freuten und stellte klar, dass diese ihre Freude verfrüht war. Denn sein Vertrauen war nicht in seiner eigenen Stärke begründet, sondern in der Kraft Gottes. Selbst wenn er gefallen war, hatte er die Gewissheit, dass Gott ihn wieder aufrichten wird. Auch wenn er scheinbar in der Finsternis sass (Vgl. Klgl 3,6), wird der HERR ihm ein Licht sein und ihm den richtigen Weg weisen.
9 Den Grimm des HERRN will ich tragen – denn ich habe gegen ihn gesündigt –, bis er meinen Rechtsstreit führen und mir Recht verschaffen wird. Er wird mich herausführen ins Licht, ich werde seine Gerechtigkeit anschauen.
V 9 | Der Prophet identifizierte sich mit seinem Volk, indem er seine Sünde bekannte (Vgl. Dan 9,5.8.11.15), und dies, obwohl er persönlich nicht in den Sünden des Volkes verstrickt gewesen war. Doch Micha wusste um die Wahrheit, dass alle Menschen gesündigt haben und entsprechend das Gericht Gottes verdienten. So wird er ebenso wie sie die Konsequenzen des Gerichts mittragen müssen.
Micha aber fand Trost in seinem Gott, der ihm als göttlicher Fürsprecher zu Hilfe kommen wird. Er glaubte, dass sein Gott ihn ins Licht führen wird, d.h. in Seine Nähe, Seine Gerechtigkeit und in Sein Heil. "Denn die Schrift sagt: „Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden." (Röm 10,11; Jes 28,16)
10 Und meine Feindin soll es sehen, und Scham soll sie bedecken, die zu mir sprach: Wo ist der HERR, dein Gott? Meine Augen werden mit Genugtuung auf sie sehen: Nun wird sie wie Straßenkot zertreten werden.
V 10 | Micha glaubte, dass Gott über seine "Feinde" (Widersacher) triumphieren wird. Spöttisch hatten sie den Propheten angepöbelt und gesagt: "Wo ist der HERR, dein Gott?" Damit aber hatten sie den HERRN persönlich herausgefordert – die Torheit der Gottlosen! Nun wird der HERR in Seinem gerechten Gericht Schande über sie bringen. Micha wird Zeuge werden, wie diese "Feinde" gedemütigt und erniedrigt werden und "wie Straßenkot zertreten werden" (Vgl. Jos 10,24; Ps 110,1).
A'-2 Verheissung auf Befreiung | 7,11-13
11 Ein Tag kommt, an dem deine Mauern aufgebaut werden sollen. An jenem Tag wird die Schranke entfernt werden.
V 11 | "Ein Tag kommt". Mit dem "Tag" ist in diesem Kontext nicht die Befreiung aus dem babylonischen Exil gemeint, sondern bezieht sich auf eine ferne Zukunft, bzw. auf das kommende Friedensreich, wenn Gott Israel wieder sammeln und im Land etablieren wird. Der Prophet beschrieb die Zeit, in der die Mauern der Weinberge wieder aufgebaut und die Grenzen Judas erweitert sein werden (Vgl. Hes 47,13-23; Obad 19-20). Im Gegensatz zu den Mauern der Weinberge, wird es im 1000-jährigen Reich um Jerusalem herum keine Mauern mehr geben, denn der HERR selbst wird seine feurige Mauer sein (Sach 2,9).
12 An jenem Tag, da wird man zu dir kommen von Assyrien und den Städten Mazors und von Mazor bis zum Strom und von Meer zu Meer und von Gebirge zu Gebirge. –
V 12 | "An jenem Tag" meint das 1000-jährige Friedensreich. Alle Nationen dieser Welt, repräsentiert durch "Assyrien" und den "Strom" (Euphrat) im Nordwesten sowie "Mazor" (Ägypten) und seine Städte im Süden, werden Delegationen nach Israel entsenden müssen (Vgl. Jes 19,23-25; Amos 9,14-15; Sach 14,16-19). Sie werden von überall her kommen, "von Meer zu Meer und von Gebirge zu Gebirge", eine Formulierung, die alle Orte der Erde meint (Vgl. Ps 72,8-11; Sach 9,10).
13 Und das Land wird zur Wüste werden wegen seiner Bewohner, wegen der Frucht ihrer Handlungen.
V 13 | Dieser Vers beschreibt die Konsequenzen für die Nationen, die sich im Friedensreich nicht an die Gebote des HERRN halten werden, insbesondere an das Gebot, das jährliche jüdische Laubhüttenfest zu besuchen. Darum wird ihr "Land zur Wüste werden" … "wegen der Frucht ihrer Handlungen". Sacharja beschrieb dies so: "Und es wird geschehen, dass alle Übriggebliebenen von allen Nationen, die gegen Jerusalem gekommen sind, Jahr für Jahr hinaufziehen werden, um den König, den HERRN der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern. 17 Und es wird geschehen, wenn eines von den Geschlechtern der Erde nicht nach Jerusalem hinaufziehen wird, um den König, den HERRN der Heerscharen, anzubeten: Über dieses wird kein Regen kommen; 18 und wenn das Geschlecht Ägyptens nicht hinaufzieht und nicht kommt, so wird der Regen auch nicht über dieses kommen. Das wird die Plage sein, womit der HERR die Nationen plagen wird, die nicht hinaufziehen werden, um das Laubhüttenfest zu feiern. 19 Das wird die Strafe Ägyptens und die Strafe aller Nationen sein, die nicht hinaufziehen werden, um das Laubhüttenfest zu feiern." (Sach 14,16-19)
A'-3 Gebet um Befreiung | 7,14
14 „Weide dein Volk mit deinem Stab, die Herde deines Erbteils, die abgesondert wohnt im Wald, inmitten des Karmel; lass sie weiden in Basan und Gilead wie in den Tagen der Vorzeit.“
V 14 | Der Prophet führte mit einem Gebet den kommenden Abschnitt ein. Er betete, dass der HERR Sein Volk wieder als Hirte weiden möge. Ein Volk, das als Sein einzigartiges, abgesondertes Volk lebte, in einem Land, das Micha als "Wald" bezeichnete. Micha bat den HERRN, Sein Volk erneut zu segnen, indem er es im fruchtbaren Gebiet im Norden Israels, d.h. "inmitten des Karmel" leben lassen und es auf den fruchtbaren Weiden von "Basan und Gilead wie in den Tagen der Vorzeit." weiden wird.
Micha bat den HERRN, Sein Volk mit Seinem "Stab" (Zepter) zu weiden (Vgl. Ps 23,4) und wies damit auf Seine königliche Herrschaft hin. Es war ein Gebet um das Kommen des verheissenen Nachkommen des Königs Davids, Israels zukünftigem und ewigem König. Im NT wird dieser königliche Hirte als Gott-Mensch offenbart in der Person und dem Wirken des HERRN Jesus Christus. ER, der Sein Leben stellvertretend für Seine Herde gab, damit sie eine ewige Beziehung mit ihrem Oberhirten haben können. Jesus sagte: "Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe." (Joh 10,11; vgl. auch Hebr 13,20; 1Petr 2,25; 5,4; Offb 7,17)
A'-4 Demütigung der Feinde Israels | 7,15-17
15 Wie in den Tagen, als du aus dem Land Ägypten zogst, werde ich es Wunder sehen lassen.
V 15 | Der HERR antwortete auf Michas Gebet. Er versprach, dass Er Israel erneut "Wunder sehen lassen" wird, wie damals, als Er kurz vor dem Auszug aus dem Sklavenhaus "Ägypten", die Plagen über Ägypten sandte und den Pharao und sein grosses Heer demütigte. Die Befreiung der Juden von der Herrschaft der Nationen und ihre Rückkehr in ihr eigenes Land zu Beginn des 1000-jährigen Friedensreiches werden ein weiteres wundersames "Exodus"-Ereignis sein. Mit Zeichen und Wundern führte der HERR Israel aus Ägypten. Die Ereignisse umfassten:
Die Plagen über das Land Ägypten (Ex 7-12)
Die Feuersäule und die Wolkensäule, die Sein Volk führten (Ex 13,21-22)
Die Teilung des Roten Meeres (Ex 14)
Das Manna (Brot) vom Himmel (Ex 16)
Wasser aus dem Felsen (Ex 17,1-7)
Die Offenbarung von Gottes Gegenwart auf dem Berg Sinai (Ex 19)
Die Gabe des Gesetzes (Ex 20ff)
Es ereigneten sich viele weitere Zeichen und Wunder auf Israels Weg von Ägypten nach Kanaan. So muss auch hier die Verheissung auf ein wundersames Eingreifen des HERRN nicht nur auf die zukünftige wundersame Rückführung des jüdischen Volkes angesehen werden, sondern beinhaltet alle Ereignisse im Hinblick auf das Aufrichten des messinischen Friedensreiches.
16 Die Nationen werden es sehen und beschämt werden über all ihre Macht: Sie werden die Hand auf den Mund legen, ihre Ohren werden taub werden;
V 16 | Die Ungläubigen aus den Nationen werden diese Zeichen und Wunder sehen und zutiefst beschämt werden, da sie nun anerkennen müssen, dass all ihre Macht gegenüber der Kraft Gottes, die sich in der Rückführung des jüdischen Volkes erzeigen wird, völlig unterlegen sein wird (Vgl. 7,7). Das Bild von "der Hand auf den Mund legen" spricht von der Ehrfurcht, der Scham und der sprachlosen Verwunderung, während "ihre Ohren taub werden" von der völligen Hilflosigkeit, im Angesicht dieser Ehrfurcht einflössenden Zeichen und Wunder jener ungläubigen Heiden-Generation, spricht.
17 sie werden Staub lecken wie die Schlange, wie die kriechenden Tiere der Erde; sie werden hervorzittern aus ihren Schlössern; sie werden sich bebend wenden zu dem HERRN, unserem Gott, und vor dir sich fürchten.
V 17 | "Sie werden Staub lecken wie die Schlange." Dies ist ein direkter Verweis auf Gottes Gericht über Satan (Gen 3,14-15), der die Gestalt einer Schlange annahm und die ersten Menschen täuschte. Die Menschen jener ungläubigen Heiden-Generation, die Gottes Volk so schwer bedrücken werden, werden als Werkzeuge des Teufels angesehen und dasselbe Urteil wie Satan erleiden.
"Sie werden hervorzittern aus ihren Schlössern". Angst und Schrecken wird sie überfallen, während sie die mächtigen Zeichen und Wunder des HERRN zu Gunsten des jüdischen Volkes sehen werden. Sie werden ihre "Schlösser" (sichere Orte) verlassen müssen, denn sie werden sich "bebend zu dem Herrn wenden müssen." Für jene ungläubige Heiden-Generation wird kein Platz mehr auf Erden gefunden werden und der HERR wird sie im Tal Josaphat zum Völkergericht versammeln. Sie werden alle den physischen Tod erleiden und müssen im Totenreich für 1000 Jahre auf das Endgericht vor dem grossen weissen Richterthron des HERRRN warten – ihr Ende wird der Feuersee sein (Vgl. Offb 20,11-15).
A'-5 Lobpreis | 7,18-20
Die drei abschliessenden Verse gehören zu den herausragendsten der alttestamentlichen Schriften - voller Lobpreis und Gottes- und Schrifterkenntnis! Der Heilige Israels wird als der einzige wahre Gott gepriesen, der allein in der Lage ist, Gnade (chesed) zu üben und Sünden zu vergeben.
Diese drei Verse werden in der Synagoge am Nachmittag des Versöhnungstages gemeinsam mit dem Buch Jona gelesen. Darüber hinaus folgt der orthodoxe Jude einmal im Jahr, am Nachmittag des Neujahrsfestes (Rosch Haschana), dem Brauch des "Tashlich" (hebr. "Du wirst werfen"). Dabei geht er zu einem fliessenden Gewässer und wirft Brotkrumen oder andere kleine Objekte ins Wasser, die symbolisch seine Sünden darstellen. Währenddessen werden die Verse 18-20 zitiert.
18 Wer ist ein Gott wie du, der die Ungerechtigkeit vergibt und die Übertretung des Überrestes seines Erbteils übersieht? Er behält seinen Zorn nicht auf ewig, denn er hat Gefallen an Güte.
V 18a | Der Prophet begann diesen abschliessenden Lobgesang mit der Frage: "Wer ist ein Gott wie du?" Wie schon in V 15, bezog sich diese rhetorische Frage auf die wundersamen Ereignisse des (endzeitlichen) Exodus: "Wer ist dir gleich unter den Göttern, HERR! Wer ist dir gleich, herrlich in Heiligkeit, furchtbar an Ruhm, Wunder tuend!" (Ex 15,11; vgl. auch Dt 3,24; 2Sam 22,32; Ps 35,10; 71,19; 77,13-14; 89,7 und 113,5) Diese Frage kennt also nur eine Antwort: Es gibt niemanden wie den HERRN! Folgerichtig proklamierte der Prophet Jeremia (Kp 10):
6 Gar keiner ist dir gleich, HERR;
du bist groß,
und groß ist dein Name in Macht.
7 Wer sollte dich nicht fürchten, König der Nationen?
Denn dir gebührt es.
Denn unter allen Weisen der Nationen
und in allen ihren Königreichen
ist gar keiner dir gleich!
V 18b | Was macht in diesem Kontext die Einzigartigkeit des Gottes Israel aus? Zuerst erklärte der Prophet: "Der die Ungerechtigkeit vergibt." Das hebräische Wort für "vergeben" bedeutet wörtlich "aufheben" oder "tragen". Es wird über 650 x in der Bibel verwendet.
Das Wort "Ungerechtigkeit" bedeutet auch Schuld. Die Begriffe, die Micha in den Versen 18-20 für böse Taten verwendete (Ungerechtigkeit / Schuld, Übertretung, Ungerechtigkeiten, Sünden), wurden bewusst gewählt, um die gesamte Bandbreite der Vergehen des Volkes darzustellen. Sie verdeutlichen, dass Gottes Vergebung nicht auf einzelne Sünden beschränkt ist, sondern die Gesamtheit der Schuld seines Volkes umfasst.
V 18c | Als nächstes wurde dargelegt, dass der HERR "die Übertretung des Überrestes seines Erbteils übersieht?" Der Ausdruck "übersieht" ist im Hebräischen ‘âḇar, was Bewegung bedeutet. Seine bedeutendste Anwendung finden wir wiederum im Exodus-Bericht: "Und ich werde in dieser Nacht durch das Land Ägypten gehen (‘âḇar) und alle Erstgeburt im Land Ägypten schlagen vom Menschen bis zum Vieh, und ich werde Gericht üben an allen Göttern Ägyptens, ich, der HERR. 13 Und das Blut soll euch zum Zeichen sein an den Häusern, worin ihr seid; und sehe ich das Blut, so werde ich an euch vorübergehen; und es wird keine Plage zum Verderben unter euch sein, wenn ich das Land Ägypten schlage." (Ex 12,12-13) Der Prophet verwendete dieses Wort, um auszudrücken, dass Gott "die Übertretung übersieht“, d.h., dass der gerechte und heilige Gott schonend vorübergeht, ohne innezuhalten, um Gericht zu üben, wie er es an den Ägyptern getan hatte.
Wer ist Nutzniesser des schonenden "Übersehens der Übertretung"? Es ist der "Überrest seines Erbteils". In V 14 wird er "die Herde deines Erbteils" genannt und der Gott Israels ist sein rechtmässiger Besitzer. "Erbteil" könnte somit auch als Besitz, Erbe oder Erbschaft übersetzt werden.
Bereits in 1Kön 19,18 lesen wir, dass Gott einen gläubigen Überrest von "7000 in Israel übrig gelassen" hatte, "die sich nicht vor dem Baal gebeugt hatten." Paulus nahm auf diese Begebenheit Bezug in Röm 11,1-5 und erklärte, dass Gott auch in seiner Generation einen "Überrest nach Auswahl der Gnade" bewahrt hatte. In jeder Generation, über die Zeitalter hinweg, besitzt der HERR einen gläubigen "Überrest seines Erbteils".
V 18d | "Er behält seinen Zorn nicht auf ewig, denn er hat Gefallen an Güte (Gnade)." Gott hatte jedes Recht, zornig zu sein über die Rebellion und Boshaftigkeit seines Bundesvolkes. Gott ist heilig und kann Böses in keiner Form dulden. Er ist eine Ehe-Beziehung am Sinai mit Seinem auserwählten Volk eingegangen und die Worte "sie werden mein Volk sein, und ich werde ihr Gott sein" ziehen sich durch die Seiten des AT. Gottes Treue zu Seinen Bündnisversprechen hat zur Folge, dass Sein "Zorn nicht auf ewig" anhält, "denn er hat Gefallen an Güte (Gnade)". Gott freut sich daran, gnädig zu sein. Das hebräische Wort für Güte (Gnade) ist "chesed" und weist auf Gottes beständige Liebe und Bundestreue hin. Paulus formulierte es so: "wenn wir untreu sind – er bleibt treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen." (2Tim 2,13)
19 Er wird sich unser wieder erbarmen, wird unsere Ungerechtigkeiten niedertreten; und du wirst alle ihre Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.
V 19 | Gottes Gnade (chesed) ist nicht einfach nur ein Wort, sondern besteht aus einer Vielzahl an Werken und Taten. So schilderte der Prophet in zwei eindrücklichen Bildern, wie sich diese unvergleichliche Gnade Gottes gegenüber dem "Überrest seines Erbteils" manifestieren wird. Zuerst erwähnte Micha, dass der HERR "unsere Ungerechtigkeiten niedertreten wird." Das Wort "niedertreten" bedeutet auch "erobern", "unterwerfen" und "unterjochen". Es kommt 15x vor im AT und bezieht sich normalerweise auf das Unterwerfen von Völkern, jedoch nur hier in diesem Vers auf "Ungerechtigkeiten" (Schuld). So könnte auch einfach übersetzt werden: "Er wird unsere Ungerechtigkeiten (Schuld) unterwerfen." Das "Niedertreten" der "Ungerechtigkeiten" zeugt zudem von der Allmacht und Kraft des HERRN, der die Kraft der Sünde brechen wird. Der HERR wird die Sünde vollständig besiegen und unterwerfen, wie ein Feind besiegt und unterworfen wird.
Nicht nur werden ihre "Ungerechtigkeiten" (Schuld, Sünden) vom HERRN völlig niedergetreten und endgültig besiegt werden, sondern sie werden auch "in die Tiefen des Meeres geworfen", um für immer unerreichbar und unvergessen zu bleiben. König David schrieb: "so weit der Osten ist vom Westen, hat er von uns entfernt unsere Übertretungen." (Ps 103,12) Im Jesajabuch verhiess der HERRR: "Ich, ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner Sünden will ich nicht mehr gedenken." (Jes 43,25) In der Ankündigung des Neuen Bundes sagte der HERR im Jeremiabuch: "Denn ich werde ihre Schuld vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken." (Jer 31,34c)
Natürlich wird diese Lehre im NT bestätigt. Petrus verkündete: "So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure Sünden ausgetilgt werden." (Apg 3,19) Dies ist die klare Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus, wie Paulus im Kolosser darlegte: "Danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht, 13 der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt hat in das Reich des Sohnes seiner Liebe, 14 in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden." (Kol 1,12-14)
20 Du wirst an Jakob Treue, an Abraham Güte erweisen, die du von den Tagen der Vorzeit her unseren Vätern geschworen hast.
V 20 | Dieser letzte Vers des Michabuches bestätigt treffend die Wahrhaftigkeit aller zuvor genannten Aussagen über Gottes Verheissungen an Sein Volk. Der Prophet machte klar, dass der HERR alle Bundesverheissungen aufgrund Seiner treuen und beständigen Liebe (chesed) zu Seinem Volk, zuverlässig einlösen wird, denn der HERR hat es den "Vätern geschworen." Der Prophet nannte ausdrücklich den Bund mit Abraham – die eigentliche Geburtsstunde des jüdischen Volkes. Dieser Bund wurde in Gen 12,1-3 eingeführt und in Gen 15,18-21 festgelegt. Mit Abraham wurde er in Gen 17,1-21, mit Isaak in Gen 26,2-5 und mit Jakob in Gen 28,10-17 bestätigt.
In Christus wurden und werden diese Bündnisse gänzlich in Erfüllung gehen. Jesus verkündete feierlich: "Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird." (Lk 22,20b; vgl. auch 1Kor 11,25; Hebr 12,24) Durch den Glauben an das vollkommene Erlösungswerk des HERRN Jesus bekommen Christusgläubige Anteil an den geistlichen Segnungen der Bundesverheissungen, einschliesslich des abrahamitischen, davidischen und neuen Bundes. Alle Verheissungen Gottes an Sein Volk werden während des zukünftigen, wunderbaren irdischen Reiches seines Sohnes, Jesus Christus, des Messias, treu und vollständig erfüllt werden.
Dieses Kapitel begann mit der düsteren Beschreibung der Verderbtheit des Volkes Gottes und endet nun mit einer der grossartigsten Hoffnungsbotschaften des gesamten Alten Testaments.
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