Esther Kapitel 2

Autor: Briggeler Reinhard
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1 - 4 | Die Suche nach einer neuen Königin

1 Nach diesen Dingen, als der Zorn des Königs Ahasveros sich gelegt hatte, erinnerte er sich an Vasti und an das, was sie getan und was über sie beschlossen worden war. 2 Da sprachen die Diener des Königs, die ihn bedienten: Man suche dem König Mädchen, die Jungfrauen sind und schön von Aussehen; 3 und der König bestelle Beamte in allen Landschaften seines Königreichs, damit sie alle Mädchen, die Jungfrauen und schön von Aussehen sind, auf die Burg Susan in das Frauenhaus zusammenbringen unter die Aufsicht Heges, des königlichen Hofbeamten, des Hüters der Frauen; und man gebe ihnen Reinigungssalben. 4 Und das Mädchen, das dem König gefallen wird, werde Königin an Vastis statt. Und das Wort gefiel dem König; und er tat so.

"Nach diesen Dingen" bezieht sich auf die empfindliche Niederlage Persiens gegen Griechenland. Mittlerweile sind es ca. vier Jahre her, seit Königin Vasti verstossen wurde (Vgl. 2,16). Nun erinnerte sich Ahasveros daran, Vasti abgesetzt zu haben, kam aber zu dem Schluss, dass die damals gegen sie ergriffene Massnahmen Bestand haben sollen. Seine Diener schlugen vor, junge, schöne Frauen aus dem ganzen Reich zu suchen, damit der König eine neue Königin anstelle der abgesetzten Vasti erwählen konnte. Die Diener wurden nicht als "Weise" genannt und sind somit offensichtlich nicht dieselben Personen, die die Verstossung von Vasti empfohlen hatten. Die Jungfrauen, die sie Ahasveros empfahlen, waren einfach junge Frauen im heiratsfähigen Alter. Dieser Plan wurde umgesetzt, und es begann eine umfangreiche Suche im gesamten Königreich nach einer geeigneten Kandidatin.

Hier sei angemerkt, dass es nicht einfach nur darum ging, eine Frau für Ahasveros zu suchen, weil er einfach eine Frau brauchte. Wie alle Herrscher jener Zeit hatte auch Ahasveros ein grosses Harem. Darüber hinaus hatte er die Macht, jede Frau im Königreich zu haben, doch er suchte nicht nach einem einmaligen Treffen, sondern nach einer Ehefrau! Jemand, die sich langfristig um ihn kümmern würde und ihm in allem nahestehen sollte.

5 - 7 | Einführung der beiden (jüdischen) Hauptpersonen

5 Es war ein jüdischer Mann in der Burg Susan, sein Name war Mordechai, der Sohn Jairs, des Sohnes Simeis, des Sohnes des Kis, ein Benjaminiter, 6 der aus Jerusalem weggeführt worden war mit den Weggeführten, die mit Jekonja, dem König von Juda, weggeführt wurden, die Nebukadnezar, der König von Babel, weggeführt hatte. 7 Und er erzog Hadassa, das ist Esther, die Tochter seines Onkels; denn sie hatte weder Vater noch Mutter. Und das Mädchen war schön von Gestalt und schön von Aussehen. Und als ihr Vater und ihre Mutter gestorben waren, hatte Mordechai sie als seine Tochter angenommen.

In diesen Versen werden uns nun die beiden Hauptpersonen des Estherbuches vorgestellt – der Jude[1] Mordechai[2] und die Jüdin Esther[3]. Mordechai ist Benjaminiter und ein Nachkomme Kis', dem Vater des Königs Sauls. Dies ist ein wichtiges Element, welches im Verlaufe der Esthererzählung noch eine wesentliche Rolle spielen wird. Die Vorfahren von Mordechai und Esther wurden im Jahr 597 v.Chr. mit Jechonja, dem damaligen König von Juda, nach Babylon verschleppt. Die Eltern von Esther starben als sie noch sehr jung war. So nahm Mordechai Esther, seine Cousine, als seine eigene Tochter auf. Ihre Schönheit wird hervorgehoben, weil dies ein Schlüsselelement für die spätere Entwicklung der Geschichte ist, da Esthers Aussehen und ihre anziehende Persönlichkeit zentral für ihre Auswahl als Königin sein werden.

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[1] Das Wort Jude/Juden kommt 45x vor. Den meisten Juden im persischen Reich ging es sehr gut. Sie hatten sich erfolgreich in die persische Gesellschaft integriert. Auch ein Grund, warum bei den drei Rückführungen nach Jerusalem, verhältnismässig wenige Juden dabei sein wollten. Wegen dem Antisemitismus der damaligen Zeit, verbargen viele Juden ihre jüdische Herkunft, ihre jüdische Identität und ihren jüdischen Glauben. So hält auch Gott sich verborgen und stellt sich nicht offen zu seinem Volk, das sich nicht offen zu ihm stellt. Gottes unverdiente Gnade wirkt im Verborgenen.

[2] Der Name Mordechai (50x) ist wahrscheinlich eine Ableitung von dem babylonischen Gottesnamen → Marduk, dem ursprünglichen Stadtgott Babylons. Er hat in Persien Karriere gemacht und hatte am königlichen Hof eine hohe Stellung. Seine jüdische Herkunft (Benjaminiter) hat er verborgen gehalten. Er hatte einen aussergewöhnlich guten Charakter und war entsprechend loyal zum König. Zwei Leibwächter des Königs planten einen Anschlag auf den König. Mordechai bekommt diese Dinge mit und mit Esthers Hilfe kann er den König warnen und erwirbt so seine Gunst. Mordechai war ein Vetter von Esther und hat sie adoptiert, vermutlich, weil Esther zur Waise geworden war. Er verweigerte trotz königlicher Anordnung dem Agagiter Haman die Huldigung und beugte seine Knie nicht. Damit löste Mordechai eine Lawine an Ereignissen aus. Am Ende triumphierte der Jude Mordechai und wurde, wie Joseph in Ägypten, nach dem König der mächtigste Mann im Reich.

[3] Der Name Esther (45x) ist vermutlich von der babylonischen Göttin "Ischtar" oder dem altiranischen Wort star- „Stern“ abzuleiten. Hadassa bedeutet „Myrte“, ein schwacher aber in seiner Blüte sehr schöner, wohlriechender Strauch, in Gottes Wort das Symbol des Wiederaufblühens Israels. Wie es der Name Esther schon andeutet, hielt auch sie ihre jüdische Identität lange verborgen. Sie war von ausserordentlicher Schönheit, Anmut und Charme, sodass sie unter sehr vielen jungen Frauen die Liebe des Königs gewinnen konnte und zur Königin von Persien wurde. Nach ihrer "Bekehrung" sehen wir bei Esther einen gottgewirkten Glaubensmut und Weisheit. Durch ihren mutigen Einsatz gelingt es Esther zusammen mit Mordechai (Zwillingsdienst), das jüdische Volk vor der geplanten Vernichtung zu retten.

8 - 11 | Die Vorbereitung der Kandidatinnen

8 Und es geschah, als das Wort des Königs und seine Anordnung gehört wurden und als viele Mädchen in die Burg Susan unter die Aufsicht Hegais zusammengebracht wurden, da wurde auch Esther in das Haus des Königs aufgenommen, unter die Aufsicht Hegais, des Hüters der Frauen. 9 Und das Mädchen gefiel ihm und erlangte Gunst vor ihm. Und er beeilte sich, ihr ihre Reinigungssalben und ihre Teile zu geben und ihr die sieben Mägde zu geben, die aus dem Haus des Königs ausersehen waren; und er brachte sie mit ihren Mägden in den besten Teil des Frauenhauses. 10 Esther hatte ihr Volk und ihre Abstammung nicht bekannt gegeben; denn Mordechai hatte ihr geboten, dass sie es nicht bekannt geben sollte. 11 Und Tag für Tag ging Mordechai vor dem Hof des Frauenhauses umher, um das Wohlergehen Esthers zu erfahren und was mit ihr geschähe.

In diesen Versen sehen wir, wie Esther unter ca. 15 Millionen (geschätzte Zahl) Frauen auserwählt wurde und in die Burg Susan gebracht wurde. Gemäss Josephus, dem jüdischen Historiker, wurden 400 Jungfrauen ausgewählt und zum königlichen Palast gebracht. Die Kandidatinnen kamen unter die Obhut von Hegai, dem Hüter der Frauen. Hegai fand Gefallen[1] an Esther und gewährte ihr besondere Vorzüge, einschliesslich sieben ausgewählter Dienerinnen aus dem Königshaus und der besten Unterkunft im Frauenhaus. Esther befolgte den Rat ihres Pflegevaters und Vetters (Cousins) Mordachai und gab ihre jüdische Identität nicht preis. Mordachai selbst ging täglich vor den Hof des Frauenhauses, um sich nach Esthers Wohlbefinden zu erkundigen.

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[1] Das hebräische Verb, das in dem Textabschnitt für „Gefallen finden“ benutzt wird – חָסֵד (chesed) –, trägt eine viel tiefere Bedeutung, als es die meisten Bibel-Übersetzungen ausdrücken. Es steht nicht einfach für ein flüchtiges Wohlgefallen oder Sympathie, sondern für ein tiefgründiges "Gefallen" begründet in Liebe, Zuneigung, Treue, Loyalität und Gnade. Dass Hegai sofort Gefallen an Esther fand, zeugt von einem göttlichen Wirken, die weit über eine blosse menschliche Vorliebe oder Zufälligkeit hinausreichte. Es ist ein Zeichen für Gottes unsichtbare Hand, die Esther für grössere Aufgaben vorbereitete. Michael Briggeler schrieb in seinen Ruth-Notizen: Neben diesem Wort möchte ich noch das Wort chesed erwähnen, das explizit zwar nur 3 Mal verwendet wird, sich aber durch das ganze Buch hindurch bemerkbar macht. Das Wort ist eine Mischung aus Gnade, Liebe, Loyalität und Hingabe; am treffendsten kann es als Liebes-Bund oder Liebes-Bündnis (zwischen Menschen oder zwischen Gott und dem Menschen) beschrieben werden. Gott ist seinem Volk gnädig in dem es die Hungersnot abwendet, Ruth ist mit Naemi chesed und Boas erweist Ruth Barmherzigkeit. Chesed bedingt ein Dreifaches: Chesed verlangt als erstes ausserordentliche Hingabe. Orpah und der in Kapitel 4 erwähnte namenlose Verwandte waren gewöhnliche Menschen, deren Leben nicht durch Chesed geprägt war. Obgleich Orpah zu Beginn gewisse Ansätze dieser Chesed Gnade zeigte, kam es nach ihrer Rückkehr nach Moab wieder zu erliegen. Zweitens geht Chesed aussergewöhnliche Risiken ein. Ruth nahm ein solches am Dreschplatz auf sich, Boas im Tor der Stadt. Drittens erfordert Chesed ein aufrichtiges Leben und Handeln, wie es im Buch Ruth berichtet wird.

 

12 - 18 | Esthers Aufstieg zur Königin

12 Und wenn die Reihe an jedes Mädchen kam, zum König Ahasveros zu kommen, nachdem ihr zwölf Monate lang nach der Anordnung für die Frauen geschehen war (denn so wurden die Tage ihrer Reinigung erfüllt, nämlich sechs Monate mit Myrrhen-Öl und sechs Monate mit Gewürzen und mit Reinigungssalben der Frauen), 13 und wenn dann das Mädchen zum König kam, so wurde ihr alles gegeben, was sie verlangte, um es aus dem Frauenhaus in das Haus des Königs mitzunehmen. 14 Am Abend kam sie, und am Morgen kehrte sie in das zweite Frauenhaus zurück, unter die Aufsicht Schaaschgas’, des königlichen Hofbeamten, des Hüters der Nebenfrauen. Sie kam nicht wieder zum König, es sei denn, dass der König Gefallen an ihr hatte und sie mit Namen gerufen wurde. 15 Und als die Reihe an Esther kam, die Tochter Abichails, des Onkels Mordechais (der sie als seine Tochter angenommen hatte), dass sie zum König kommen sollte, verlangte sie nichts, außer was Hegai, der königliche Hofbeamte, der Hüter der Frauen, sagte. Und Esther erlangte Gnade in den Augen aller, die sie sahen. 16 Und Esther wurde zum König Ahasveros in sein königliches Haus geholt im zehnten Monat, das ist der Monat Tebet, im siebten Jahr seiner Regierung. 17 Und der König gewann Esther lieb, mehr als alle Frauen, und sie erlangte Gnade und Gunst vor ihm, mehr als alle Jungfrauen. Und er setzte die königliche Krone auf ihr Haupt und machte sie zur Königin an Vastis statt. 18 Und der König gab allen seinen Fürsten und Knechten ein großes Gastmahl, das Gastmahl Esthers; und er gab den Landschaften einen Steuererlass und gab Geschenke nach der Freigebigkeit des Königs.

Nach dem Gesetz des Königs mussten alle jungen Frauen, bevor sie dem König Ahasveros vorgestellt wurden, zwölf Monate lang Schönheitsbehandlungen durchlaufen. Diese Zeit war in zwei Phasen unterteilt: Sechs Monate mit Myrrhen-Öl und sechs Monate mit Balsam und anderen Schönheitsmitteln. Esther unterzog sich, wie alle anderen auch, diesem Prozess, aber sie unterschied sich in ihrer Herangehensweise. Esther bat nicht um zusätzliche Schmuckstücke oder Parfüme, ausser denen, die Hegai, der Hüter der Frauen, für angemessen hielt. "Und Esther erlangte Gnade in den Augen aller, die sie sahen." (V 15c)

Als Esther schliesslich vor den König Ahasveros trat, fand sie mehr Gnade und Gunst in seinen Augen als alle anderen Jungfrauen. Sie wurde zur Königin gekrönt, anstelle von Vasti. Der König veranstaltete ein grosses Fest zu Ehren Esthers und erliess "einen Steuererlass und gab Geschenke nach der Freigebigkeit des Königs." (18b)

In diesen Versen wird der enorme Aufwand beschrieben, welchen diese jungen Frauen auf sich nahmen, um dann dem König zu gefallen. An dieser Stelle darf schon gefragt werden, inwieweit Christusgläubige bereit sind, ein Gott wohlgefälliges Leben zu leben. So schnell sind Dinge zu viel, wenn es um das Reich Gottes geht - kümmerlich. Die Welt ist in ihrem Streben nach Nichtigem oft eifriger als die Gläubigen in ihrem Trachten nach Gottes Gerechtigkeit!

19 - 23 | Mordechais Entdeckung der Verschwörung

19 Und als zum zweiten Mal Jungfrauen zusammengebracht wurden und Mordechai im Tor des Königs saß 20 (Esther gab ihre Abstammung und ihr Volk nicht bekannt, wie Mordechai ihr geboten hatte; und Esther tat, was Mordechai sagte, wie zur Zeit, als sie bei ihm erzogen wurde), 21 in jenen Tagen, als Mordechai im Tor des Königs saß, erzürnten Bigtan und Teresch, zwei Hofbeamte des Königs, von denen, die die Schwelle hüteten, und trachteten danach, Hand an den König Ahasveros zu legen. 22 Und die Sache wurde Mordechai bekannt, und er berichtete es der Königin Esther; und Esther sagte es dem König im Namen Mordechais. 23 Und die Sache wurde untersucht und für wahr befunden; und sie wurden beide an ein Holz gehängt. Und es wurde vor dem König in das Buch der Chroniken eingeschrieben.

Wiederholt wird nun eine Begebenheit geschildert, die eine dramatische Wendung in der Esthererzählung vorbereitet. Als Mordechai im Königstor sass – ein Hinweis darauf, dass er eine Position im königlichen Dienst innehatte, hörte er von zwei Hofbeamten des Königs, nämlich Bigtan und Teresch, die einen Anschlag gegen König Ahasveros planten. Mordechai teilte Esther diese Information mit, die sie wiederum im Namen Mordechais dem König meldete. Nachdem die Anschuldigung überprüft und bestätigt worden war, wurden die beiden Männer gehängt, und der Vorfall wurde in den königlichen Chroniken verzeichnet – ein Detail, das später von grösster Bedeutung sein wird.

Mordechai hätte eine sofortige Belohnung verdient, doch seine Tat wurde "nur" aufgezeichnet, aber die Belohnung ist nur verschoben, nicht aufgehoben. An einem gewissen Punkt der Heilsgeschichte, wird Gott die Tat Mordechais einsetzen zur Rettung des irdischen Volkes Gottes – den Juden. Gläubige, durch alle Zeitalter der Heilsgeschichte Gottes hindurch, dürfen wissen, dass Gott ein Belohner ist für alle die glauben: "Ohne Glauben aber ist es unmöglich, ihm wohlzugefallen; denn wer Gott naht, muss glauben, dass er ist und denen, die ihn suchen, ein Belohner ist." (Hebr 11,6)



 

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