Esther Kapitel 5

Autor: Briggeler Reinhard
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1 - 2 | Esthers Erscheinen vor dem König

1 Und es geschah am dritten Tag, da kleidete sich Esther königlich und trat in den inneren Hof des Hauses des Königs, dem Haus des Königs gegenüber. Und der König saß auf seinem königlichen Thron im königlichen Haus, dem Eingang des Hauses gegenüber. 2 Und es geschah, als der König die Königin Esther im Hof stehen sah, erlangte sie Gnade in seinen Augen; und der König reichte Esther das goldene Zepter entgegen, das in seiner Hand war. Und Esther trat herzu und rührte die Spitze des Zepters an.

Nach drei Tagen des Fastens und Betens trat Esther, die jüdische Königin, vor den König, ohne gerufen worden zu sein. Nach persischem Gesetz konnte dies mit dem Tod bestraft werden, es sei denn, der König strecke sein goldenes Zepter aus, um Gnade zu zeigen. Durch den von Gott gewirkten Glauben war Esther bereit, dieses Risiko einzugehen, um für ihr jüdisches Volk einzutreten, das von Haman, dem Feind der Juden, der Ausrottung preisgegeben worden war. Als Esther vor den König trat, fand sie Gnade in den Augen des Königs, der ihr das goldene Zepter entgegenstreckte, was bedeutete, dass ihr Leben verschont blieb.

Im Sprüchebuch lesen wir: "Wasserbächen gleicht das Herz eines Königs in der Hand des HERRN; wohin immer er will, neigt er es." (21,1) Gott bestimmt nicht nur das Los (Purim), was das Unberechenbarste ist, sondern auch das Herz des Königs, was das Willkürlichste ist, das es gibt. In der Esthererzählung wird beides eindrücklich dargestellt und zeigt auf, wie Gott durch den Glauben der Seinen in dieser Welt Heilsgeschichte wirkt.

3 - 8 | Esthers Einladung an den König und Haman zu einem Mahl

3 Und der König sprach zu ihr: Was hast du, Königin Esther, und was ist dein Begehr? Bis zur Hälfte des Königreichs, und es soll dir gegeben werden! 4 Und Esther sprach: Wenn es der König für gut hält, so möge der König mit Haman heute zu dem Mahl kommen, das ich ihm bereitet habe. 5 Da sprach der König: Bringt Haman unverzüglich her, damit wir tun, was Esther gesagt hat. Und der König und Haman kamen zu dem Mahl, das Esther bereitet hatte. 6 Und der König sprach zu Esther beim Weingelage: Was ist deine Bitte? Und sie soll dir gewährt werden. Und was ist dein Begehr? Bis zur Hälfte des Königreichs, und es soll geschehen! 7 Da antwortete Esther und sprach: Meine Bitte und mein Begehr ist: 8 Wenn ich Gnade gefunden habe in den Augen des Königs und wenn es der König für gut hält, meine Bitte zu gewähren und mein Begehr zu tun, so möge der König mit Haman zu dem Mahl kommen, das ich ihnen bereiten will; und morgen will ich nach dem Wort des Königs tun.

Dieser Abschnitt beginnt wie folgt: "Und der König sprach zu ihr: Was hast du, Königin Esther, und was ist dein Begehr? Bis zur Hälfte des Königreichs, und es soll dir gegeben werden!" (V 3) Der König zeigte seine Grosszügigkeit und Bereitschaft, Esther zu empfangen und anzuhören, indem er ihr anbot, ihr bis zur Hälfte seines Königreichs zu geben. Dies ist eine (hyperbolische) Ausdrucksweise[1], die seine Wertschätzung, Grosszügigkeit und Liebe zu Esther unterstreicht.

In der Folge bat Esther den König und Haman zum Festmahl, das sie vorbereitet hatte. In Ihrem ganzen Vorgehen und Handeln zeigte sich ihre Weisheit und kluge Strategie. In der antiken Kultur war die Einladung zu einem Festmahl mehr als nur eine soziale Geste; es war ein Zeichen von Ehre und Vertrauen. Die Einladung des Königs und Hamans zu nicht nur einem, sondern zu zwei Festmahlen wollte Esther nutzen, um ihre Beziehung zum König zu stärken und gleichzeitig ein Umfeld des Vertrauens und der Offenheit zu schaffen. Auf Esthers Verlangen hin, befahl Ahasveros ohne zu zögern Haman, seinen höchsten Beamten, sofort holen zu lassen. Hier zeigte sich schon, wie Gottes Plan sich entfaltete, indem er das Herz des Königs lenkte.

Beim Festmahl wiederholte der König die schon erklärte Redewendung, nämlich Esther bis zur Hälfte seines Reiches zu geben, um nochmals seine Bereitschaft zur Grosszügigkeit und zum Wohlwollen zu signalisieren. Esther enthüllte ihr Anliegen noch nicht, sondern lud den König und Haman zu einem weiteren Festmahl  am folgenden Tag ein.

Auch wenn kein Grund angegeben wird, warum Esthers Enthüllung auf den Folgetag verschoben wurde, lassen sich drei Gründe dazu nennen. Erstens war sich Esther der Bedeutung des richtigen Zeitpunkts bewusst. Des Herrn Zeit war noch nicht gekommen. Indem sie ihre Bitte auf ein weiteres Festessen verschob, verschaffte Esther dem König Zeit, seine Zuneigung zu ihr und ihren Anliegen zu vertiefen, so, als ob sie bewusst zuerst den Boden weiter sorgsam vorbereiten wollte, bevor sie die entscheidende Frage stellen wollte. Zweitens erzeugte Esther dadurch Spannung und Vorfreude. Wie ein geschickter Geschichtenerzähler, der seine Zuhörer in Atem hält, nutzte Esther das Prinzip der Erwartungshaltung. Mit jedem Moment stieg die Neugier des Königs und Hamans darauf, was Esther wohl so dringend vorbringen könnte. Diese Strategie verstärkte den Effekt der späteren Enthüllung ihres Anliegens. Drittens, und vielleicht am wichtigsten, nahm sich Esther nochmals Zeit, um den Gott Israels in dieser Angelegenheit zu suchen und anzurufen. So wie es der Psalmist Asaph formulierte: "Rufe mich an am Tag der Bedrängnis: Ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen!" (Ps 50,15)

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[1] Ein Hyperbol-Idiom ist eine literarische Ausdrucksweise, die eine starke Übertreibung ausdrückt, um einen Effekt zu erzielen. Z.B., um die Aufmerksamkeit zu erhöhen oder eine Aussage kraftvoller zu machen. Ein Idiom ist eine Redewendung, deren Bedeutung nicht wörtlich aus den einzelnen Wörtern abgeleitet werden kann. Z.B. "Da liegt der Hund begraben" – hiermit wird auf den Kern eines Problems oder einer Sache hingewiesen. Ein Hyperbol-Idiom kombiniert also die Übertreibung mit der idiomatischen Ausdrucksweise, um eine besonders starke oder bildhafte Wirkung zu erzielen. Dementsprechend muss auch die Redewendung des Königs "bis zur Hälfte meines Königreichs" verstanden werden, denn diese drückt die Bereitschaft des Königs aus, Esther grosszügig, wohlwollend und liebevoll zu empfangen. (Vgl. Mk 6,23)

9 - 14 | Hamans Zorn auf Mordechai

9 Und Haman ging an jenem Tag hinaus, fröhlich und guten Mutes. Als aber Haman Mordechai im Tor des Königs sah und dass er weder aufstand noch sich vor ihm rührte, da wurde Haman über Mordechai von Grimm erfüllt. 10 Aber Haman bezwang sich. Und als er in sein Haus gekommen war, sandte er hin und ließ seine Freunde und seine Frau Seresch kommen. 11 Und Haman erzählte ihnen von der Herrlichkeit seines Reichtums und von der Menge seiner Söhne; und alles, wie der König ihn groß gemacht und wie er ihn erhoben habe über die Fürsten und Knechte des Königs. 12 Und Haman sprach: Auch hat die Königin Esther niemand mit dem König zu dem Mahl kommen lassen, das sie bereitet hatte, als nur mich; und auch für morgen bin ich mit dem König von ihr geladen. 13 Aber dies alles gilt mir nichts, solange ich Mordechai, den Juden, im Tor des Königs sitzen sehe. 14 Da sprachen seine Frau Seresch und alle seine Freunde zu ihm: Man richte einen Baum her, fünfzig Ellen hoch; und am Morgen sage dem König, dass man Mordechai daran hänge. Dann geh mit dem König fröhlich zum Mahl! Und das Wort gefiel Haman, und er ließ den Baum herrichten.

Haman verliess das Festmahl voller Freude und Zufriedenheit, aber als er Mordechai am Tor des Königs sah und feststellen musste, dass dieser sich nicht vor ihm verneigte, verwandelte sich seine Freude schnell in Zorn. Dies zeigt auf, wie leicht menschliche Emotionen – in diesem Fall Hamans Stolz – durch die Handlungen anderer beeinflusst werden können. Wie unstet ist das Herz des Menschen! Trotz seines Zorns beherrschte sich Haman und ging nach Hause. Dies deutet darauf hin, dass Haman seine Rache sorgfältig geplant hatte und er sich darum in Zurückhaltung üben konnte.

Als Haman zu Hause ankam, liess er seine Freunde und seine Frau Seresh zu sich kommen. In seinem unermesslichen Hochmut prahlte Haman von seinem Reichtum, seiner grossen Zahl an Söhnen und über all die Ehren, die ihm vom König verliehen worden waren. Im Besonderen erwähnte er, dass er als Einziger zusammen mit dem König zum Festmahl, das Esther vorbereitet hatte, eingeladen worden war. Doch für ihn fühlten sich all diese Dinge als wertlos an, solange Mordechai, der Jude, sich nicht vor ihm verneigte. Haman gestand, dass all sein Reichtum und seine Ehre ihm nichts bedeutete, solange er Mordechai im Tor des Königs sitzen sah.

Auf Anraten seiner Frau Seresh und aller seiner Freunde, liess Haman einen 50 Ellen hohen Galgen[1] errichten, um Mordechai daran zu hängen. Sie schlugen vor, am nächsten Tag den König um Mordechais Hinrichtung zu bitten, und dann fröhlich zum Festmahl mit Esther zu gehen. Dieser Plan widerspiegelt den antichristlichen Geist und den damit verbundenen abgrundtiefen Hass auf die Juden, insbesondere auf Mordechai (Bild auf den Messias). Haman war wild entschlossen, all seine Macht und Ressourcen zu nutzen, um den Juden Mordachai zu töten und das jüdische Volk auszurotten.

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[1] Die Entscheidung, einen Galgen zu errichten, um Mordechai zu hängen, ist ausgesprochen vielsagend. Im antiken Persien war das Hängen eine Form der Hinrichtung für diejenigen, die als Verräter angesehen wurden. Die Grösse des Galgens, "fünfzig Ellen hoch" (ca. 23 Meter), die Haman errichten liess, ist einmal Ausdruck seines grössenwahnsinnigen Egos, zeigt aber auch seinen durch Hass geborenen Wunsch, Mordechai nicht nur zu töten, sondern ihn auch öffentlich zu erniedrigen und ein Exempel zu statuieren. Diese Handlung sollte Hamans Macht und Überlegenheit demonstrieren, nicht nur gegenüber Mordechai, sondern allen Menschen gegenüber. Dieser Abschnitt offenbart den ganzen aufgeblasenen, erbärmlichen und niedrigen Charakter Hamans.

 



 

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